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Arts&MétiersMag – September 2014
Télérama – July 2014
“Cette réussite en revient aussi à la direction ènergique d’un jeune
chef allemand, Jan Moritz Onken. Mieux qu’un simple faire-valoir pour
Maxime Zecchini: son bras droit.”
WDR 3 – August 13th 2014
http://www.wdr3.de/programm/tonartliste690.html
Salzburger Nachrichten – July 20th 2014
Klassisch Harb 123
Wie fünf Finger das Klavier erobern
Paul Wittgenstein war ein außergewöhnlicher Pianist. In Polen verlor er bei einem Angriff 1914 seinen rechten Arm. Das fachte seine Kreativität neu an. Eine etwas andere „Kriegsmusikgeschichte“.
Die Wittgensteins zählten zu den angesehensten Familien der Wiener Gesellschaft. Ihr Reichtum gründete sich auf die Geschäfte des Stahl- Tycoons Karl Wittgenstein, der wie seine Frau Leopoldine selbst eine musische Ader hatte und in dessen Wiener Palais die Größen der Zeit zu Gast waren: von Johannes Brahms und Clara Schumann über Pablo Casals, Mahler, Schönberg bis zu Richard Strauss.
Trotzdem sah es der strenge Vater und Familienpatriarch nicht gerne, dass eines seiner acht Kinder, Paul, die Künstlerkarriere einzuschlagen gedachte. Übrigens: Ludwig, ein anderer Sohn, wurde später einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Dessen ungeachtet studierte Paul Wittgenstein unter anderem beim berühmten Klavierpädagogen Theodor Leschetitzky und debütierte am 26. Juni 1913 unter dem Beifall von Publikum und Feuilleton im ehrwürdigen Wiener Musikverein – es war ein „gekauftes“ Konzert, denn da Geld keine Rolle spielte, bezahlte Wittgenstein den Auftritt selbst.
Zwei Eigenschaften kristallisierten sich schon da heraus: sich auch von widrigen Umständen nicht unterkriegen zu lassen, sondern vielmehr herrisch-selbstbewusst aufzutreten und anzupacken, und Geld einzusetzen, um zu neuen Zielen zu gelangen. Nach seiner Kriegsverwundung begann Paul Wittgenstein noch im Heereskrankenhaus in Omsk, die fünf Finger seiner linken Hand zu trainieren – auf einer Holzkiste, auf der er eine Klaviertastatur aufgemalt hatte. Den Kriegsdienst quittierte er trotzdem nicht, blieb trotz seiner Behinderung bis 1917 im Generalstab an der italienischen Front.
Musikgeschichtliche Bedeutung erlangte Paul Wittgenstein danach durch großzügige Auftragsvergaben an Komponisten seiner Zeit. Davor hatte er schon auf „Experimente“ anderer Musiker zurückgegriffen, die an sich „schwache“ Hand der Pianisten mit besonderen Herausforderungen zu stärken. Franz Liszt schrieb beispielsweise Stücke für seinen Schüler, den Grafen Géza Zichy, der der erste öffentlich auftretende einarmige Pianist war, und Leopold Godowsky arrangierte virtuose Klavierwerke berühmter Kollegen für die linke Hand – darunter Chopins Revolutionsetüde, den Everest der Klavierartistik.
Wittgenstein ging aber weiter und ließ eigene Kompositionen verfertigen. Die namhaftesten Auftragnehmer waren Erich Wolfgang Korngold, Franz Schmidt, Richard Strauss, Sergej Prokofieff, Maurice Ravel, Benjamin Britten. Insgesamt wurde die Klavierliteratur dadurch um 17 spezielle Konzertkompositionen bereichert.
Freilich: Ein Auftrag bedeutete nicht, dass Paul Wittgenstein sich nur dankbar zeigte. Mit Ravel – dessen Klavierkonzert „pour la main gauche“ heute ein „Klassiker“ ist – überwarf er sich, weil er rigoros in das Werk eingriff, es umschrieb, weil es ihm nicht brillant genug erschien, und meinte, dazu jedes Recht zu haben, schließlich seien Musiker ja keine Sklaven. Worauf Ravel apodiktisch antwortete: „Interpreten sind Sklaven.“
Für Prokofieffs Konzert bedankte sich Wittgenstein beim Komponisten, ließ aber zugleich wissen, er verstünde keine Note von dem Werk und werde es auch nicht spielen. Prokofieff revanchierte sich später mit der Bemerkung, er könne im linkshändigen Spiel seines Auftraggebers „kein spezielles Talent“ entdecken, ja, böser noch: Wittgensteins Missgeschick auf dem Schlachtfeld sei sogar ein Glücksfall gewesen, denn als Pianist mit zwei intakten Händen wäre er nicht mehr als ein mittelmäßiger Spieler geworden.
Tatsächlich wird über die pianistischen Fähigkeiten Paul Wittgensteins durchaus gestritten – am meisten in der eigenen, ohnehin zur „Destruktion“ neigenden Familie. Eine seiner Schwestern merkte noch 1942 an, ihr Bruder habe „eine Vergewaltigung“ an der
Natur begangen, weil er darauf insistierte, das zu tun, was in Wahrheit nicht getan werden kann. Anders formuliert: Ein Pianist braucht nun einmal beide Hände.
Paul Wittgenstein emigrierte vor den Nationalsozialisten 1938 über die Schweiz in die USA. Dort lebte er als amerikanischer Staatsbürger in der Nähe von New York City, gab Unterricht und unternahm erfolgreich Konzerttourneen. 1961 ist er an Herzversagen gestorben. Sein „Vermächtnis“ wird heute nicht nur von „linkshändigen“ Pianisten als maßgeblicher Repertoirezuwachs geschätzt.
Tipps:
CD: Oeuvres pour la main gauche. Hommage à Paul Wittgenstein. Vol. 4 einer Anthologie mit Klavierwerken für die linke Hand. Klavierkonzerte von Ravel, Prokofieff, Britten. Maxime Zecchini, Klavier, Cape Philharmonic Orchestra, Dirigent: Jan Moritz Onken. Ad vitam Records, Vertrieb: harmonia mundi
Buch: „Konzert für die linke Hand“, Romanbiographie von Lea Singer. dtv
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